· 

Sitze ich richtig auf dem Klo?

In meiner Ayurveda-Ausbildung ist mir das Buch von Giulia Enders „Darm mit Charme“ untergekommen und ich liebe dieses Buch! Sie räumt so genial mit dem Tabu- und Scham-Thema unserer Verdauung auf, das ich es schon sehr oft weiterempfohlen habe. Neben dem Lebensstil und der oft nicht typgerechten Ernährung ist sicherlich auch unsere Art, am Klo zu sitzen, mit ein Grund für Verstopfung, Darmerkrankungen und andere Probleme. Dieses Mal möchte ich einfach ihr Kapitel zitieren und gar nicht lange versuchen, eigene Worte zu finden. Genießt also die lustige Lektüre von Giulia Enders „Sitze ich richtig auf dem Klo?“

 

Foto und Text: Giulia Enders "Darm mit Charme"

„ Es ist empfehlenswert, von Zeit zu Zeit Gewohnheiten zu hinterfragen. Laufe ich wirklich den schönsten und kürzesten Weg zur Haltestelle? Ist das Frisieren meines Resthaars über die haarlos gewordene Mittelstelle adäquat und modisch? Oder eben: Sitze ich richtig auf dem Klo?

 

Auf alle Fragen wird es nicht immer klare Antworten geben – aber Herumexperimentieren an sich kann schon mal frischen Wind in alte Gefilde bringen. Das dachte sich vermutlich auch Dov Sikirov. Für eine Studie bat der israelische Arzt 28 Probanden darum, in drei verschiedenen Positionen den täglichen Stuhlgang auszuüben: auf einer normalen Toilette thronend, auf einer ungewöhnlich kleinen Toilette mühevoll „hock-sitzend“ oder wie im Freien hockend. Dabei stoppte er die Zeit und händigte ihnen im Anschluss einen

Fragebogen aus. Das Ergebnis war eindeutig: Hocken dauerte durchschnittlich rund 50 Sekunden und wurde von den Beteiligten als vollständiges Entleerungserlebnis empfunden. Sitzen dauerte durchschnittlich 130 Sekunden und fühlte sich nicht

ganz so erfolgreich an.

 

Warum? Weil unser Darmverschluss-Apparat nicht so entworfen ist, dass er im Sitzen die Luke vollständig öffnet. Es gibt einen Muskel, der in Sitzhaltung oder gerade auch beim Stehen den Darm wie ein Lasso umgreift und in eine Richtung zieht, so dass ein Knick entsteht. Dieser Mechanismus ist sozusagen eine Zusatzleistung zu den anderen Schließmuskeln. Einen solchen Knickverschluss kennt der eine oder andere vom Gartenschlauch. Man fragt die Schwester, warum der Gartenschlauch nicht mehr geht. Wenn sie das Schlauchende anguckt, lässt man den Knick schnell los und wartet anderthalb Minuten, bis man Hausarrest kriegt.

 

Zurück zum End-Darm-Knickverschluss: So kommt der Kot erst mal zu einer Kurve. Wie bei der Autobahnausfahrt bremst das ab. Dadurch müssen die Schließmuskeln, wenn wir stehen oder sitzen, weniger Kraft aufbringen, um alles drinzuhalten. Lässt der Muskel los, verschwindet der Knick. Die Fahrbahn ist gerade, und es kann reibungslos aufs Gas gedrückt werden.

 

Die „Hocke“ ist schon seit Urzeiten unsere natürliche Kloposition – das moderne Sitztoilettengeschäft gibt es erst seit der Indoor-Kloschüsssel-Entwicklung im späten 18. Jahrhundert. Eine „Höhlenmensch-schon-immer…“-Erklärung hat oft ein etwas problematisches Image bei Medizinern. Wer sagt denn, dass die Hocke den Muskel so viel besser entspannt und die Kotfahrbahn dadurch letztlich gerade wird? Japanische Forscher haben deshalb Probanden leuchtende Substanzen gefüttert und beim großen Geschäft in verschiedenen Positionen geröntgt. Ergebnis eins: Es stimmt – in der Hocke wird der Darmkanal schön gerade, und alles kann schnurstracks raus. Ergebnis zwei: Freundliche Menschen lassen sich für die Forschung mit leuchtenden Substanzen füttern und beim Kacken röntgen. Beides ziemlich eindrucksvoll, finde ich.

 

Hämorrhoiden, Darmkrankheiten wie Divertikulitis oder auch Verstopfungen gibt es fast nur in Ländern, in denen man beim Stuhlgang auf eine Art Stuhl geht. Ein Grund dafür, besonders auch bei jungen Menschen, ist nicht etwa schlaffes Gewebe, sondern, dass der Druck auf den Darm zu groß ist. Einige Menschen spannen auch tagsüber dauernd ihren Bauch an, wenn sie sehr angestrengt sind. Sie merken es oft gar nicht. Die Hämorrhoiden weichen dem Druck im Inneren lieber aus, indem sie locker aus dem Po baumeln. Bei den Divertikeln drückt sich das Gewebe innerhalb des Darms nach außen. Es entstehen dann winzige glühbirnenförmige Ausstülpungen an der Darmwand.

 

Unsere Art des Klogangs ist mit Sicherheit nicht die einzige Ursache für Hämorrhoiden und Divertikel. Allerdings muss man auch sagen, dass die 1,2 Milliarden hockenden Menschen dieser Welt kaum Divertikel und deutlich weniger Hämorrhoiden haben. Wir dagegen pressen uns Gewebe aus dem Po und müssen es beim Arzt beseitigen lassen – und das alles, weil edel thronend cooler ist als albern hockend? Mediziner gehen davon aus, dass häufiges Pressen auf dem Klo das Risiko für Krampfadern, Schlaganfälle oder auch die

Stuhlgangsohnmacht deutlich erhöht.

 

Aus dem Frankreich-Urlaub eines Freundes bekam ich die SMS: „Die Franzosen spinnen – jemand hat hier an drei Autobahntankstellen die Kloschüsseln geklaut!“. Ich musste laut lachen, weil ich erstens ahnte, dass dieser Text komplett ernstgemeint war, und er mich zweitens daran erinnerte, wie ich das erste mal vor so einer französischen Hocktoilette stand. Warum soll ich mich bitte hocken, wenn ihr auch einfach eine Schüssel hättet bauen

können?, dachte ich ein bisschen weinerlich und schockiert über die große Leere vor mir. In großen Teilen Asiens, Afrika und Südeuropas steht man kurz in Kampfsport- oder Abfahrtsskiposition auf seinem Hock-Klo. Wir hingegen vertreiben uns die Zeit bis zur Vollendung des Schüsselbusiness, indem wir Zeitung lesen, das Klopapier vorfalten, zu putzende Badezimmerecken orten oder geduldig an die gegenüberliegende Wand starren.

 

Als ich diesen Text meiner Familie im Wohnzimmer vorgelesen habe, blickte ich in irritierte Gesichter. Müssen wir jetzt alle von unserem Porzellanthron klettern und in ungeübt wackliger Hockstellung in ein Loch kacken? Die Antwort ist: Nein. Hämorrhoiden hin oder her! Obwohl es sicher ganz lustig wäre, sich auf die Klobrille zu stellen, um von dort aus alles in der Hocke zu erledigen. Das ist aber nicht nötig: Man kann auch im Sitzen hocken.

Dies ist besonders dann lohnenswert, wenn es mal nicht so leicht von der Hand bzw. vom Hintern geht: Der Oberkörper wird leicht nach vorne gebeugt, und die Füße werden auf einen kleinen Hocker gestellt – et voilà: alles im richtigen Winkel, man kann lesen, falten und starren mit astreinem Gewissen.“

 

Können dich diese Zeilen dazu animieren, dir einen Hocker zum Klo zu stellen und es mal auszuprobieren? Du wirst sehen, es geht sehr viel leichter und wird dir über die Jahrzehnte einiges an Ärger ersparen. Danke, Giulia Enders, für deine erfrischende Offenheit!

 

Herzlichst, deine Cornelia Pessenlehner

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0